Ich, der Antichrist
Ich bin das Böse! Abgrundtief schlecht und grenzenlos gemein.
Ich säe Hass und bringe den Tod - ich bin Hundebesitzer! Mütter
bringen ihre Kinder in Sicherheit, wenn sie mich kommen sehen, Greise
zeigen mit ihren gichtgekrümmten Fingern auf mich und Taxifahrer
lassen mich angeekelt stehen - ich bin der Antichrist! Und ich bin
nicht allein!
Wir sind leicht zu erkennen, Kollege Manfred Kriener hat kürzlich
seine subtile Beobachtungsgabe eingesetzt und einen ausgezeichneten
Steckbrief verfasst: Wir sind alle hässlich. Wir haben alle lange,
fettige Haare, einen Bierbauch, jede Menge Goldkettchen und einen
IQ, der knapp unter unserer Schuhgröße liegt. Kurz: Nix im Kopf, nix
in der Hose, dafür aber das Verderben an der Leine. Man sollte uns
einschläfern, aber vorher noch zum Friseur, waschen und schneiden.
Ich habe zwar nur einen kleinen Hund (Schulterhöhe 26 cm), aber das
ist egal. Das große Sommerloch-Thema hat mein wahres Gesicht ans
Licht der Öffentlichkeit gezerrt. Denn so wie in jedem Marmorblock
eine Statue steckt, in jedem Mann ein Vergewaltiger, so steckt in
jedem Hund ein Kindermörder - man muss ihn nur rauslassen. Und genau
dafür bin ich zuständig, ich bin der Henker, mein Hund ist das Beil.
Dabei fing alles ziemlich harmlos an. Andere, normale Jungs wollten
mit Pistolen und Panzern spielen, aber ich wollte lieber eine weiße
Maus. Später bettelte ich um Hamster, Fische, Kaninchen und um einen
Foxterrier. Ich bekam die meisten Tiere (vorzugsweise die, die man
essen kann), aber nie einen Hund. Diese frühkindliche Fehlentwicklung
ist die Ursache meiner jetzigen Probleme, meiner schrecklichen
Realitätsferne. Denn inzwischen habe ich zwar einen Hund
(Jack Russell Terrier), aber ich sehe die Welt völlig falsch.
Ich verwechsle stets Gut und Böse und bringe so unsagbares Leid
über meine Mitmenschen.
Ich kann zum Beispiel rasend wütend werden, wenn irgendein besorgter
Bürger Fleischbällchen mit Rasierklingen oder Rattengift drin im Park
auslegt und wieder ein paar Hunde jämmerlich verrecken. Dabei sind es
doch nur mitdenkende, liebevolle Menschen, die unsere Kinder schützen
wollen. Sie sind die neuen Helden der Nation: Töte einen Hund und
zeige, dass du ein wahrer Mensch bist. Ich kann das nicht. Ich trau
mich nicht. Ich kann meinem Terrier (Name: "Paddy Clarke Hahaha")
einfach nicht klarmachen, dass er ein potenzieller Kinderkiller ist.
Ich schwöre, ich habe in den letzten Tagen oft mit dem Hammer vor ihm
gestanden, ihm tief in die braunen Augen geschaut und gesagt:
"Du Schwein! Du willst also Kinder töten? Leugne nicht, du musst
sterben!" Dann hebe ich den Hammer und ... Weiter komme ich nicht.
Ich bin zwar der Antichrist, aber ich bin auch feige.
Ich hab schon meine Nachbarin gefragt, ob sie nicht ... Als Frau sei
sie schließlich eine potenzielle Mutter und damit direkt bedroht.
Aber sie meinte nur: "Wer sich einen Hund anschafft, muss ihn auch
selber umbringen." Da sehen Sies. Ich tauge nichts. Ich bin schlecht,
gemein und hässlich. Ich bin immer noch Hundebesitzer.
VON: KARL WEGMANN
Der Glaube in uns, geboren aus Hoffnung, weist einen Weg, der Zuversicht heißt.
rottikind@rottweilerclub.de